Talentförderung im Zeichen beruflicher Innovation
Zwei Augenoptikerinnen EFZ entwickelten im Rahmen ihrer Abschlussarbeit an der Berufsmaturitätsschule Zürich weitgehend eigenständig eine Brillenfassung aus recycelten PET-Flaschen. Dafür wurden sie mit der höchsten Auszeichnung bei «Schweizer Jugend forscht» geehrt.
Neugierde, Leidenschaft und Ausdauer begleiteten Lisa Brönnimann und Selina Frey bei ihrer Berufsmaturitätsarbeit (BMA). Für diese interdisziplinäre Projektarbeit entwickelten sie ein funktionstüchtiges Brillengestell aus recycelten PET-Flaschen. Eine geniale Projektidee, deren Umsetzung Handfertigkeit, Know-how und Entwicklergeist forderte. 2019 nahmen die beiden Augenoptikerinnen EFZ am Nationalen Wettbewerb «Schweizer Jugend forscht» (SJf) teil und erzielten mit ihrem Projekt ein Glanzresultat.
Der anspruchsvolle Weg zum PET-Prototyp
Die Erfolgsgeschichte startete mit dem Auftrag, eine Projektidee zum Thema «Innovation» zu entwickeln. Nach dem Brainstorming sei schnell klar gewesen, dass Ökologie und Recycling in Zeiten von Klimaerwärmung eine zentrale Rolle spielen, sagt Selina Frey, ehemalige Lernende Augenoptik EFZ bei BOA Büchi Optik. «Anders als in der Kleiderproduktion oder bei Verpackungen wird in der Brillenindustrie aber nicht recycelt.» Lisa Brönnimann, die ihre Ausbildung bei Fielmann absolviert hat, ergänzt: «Da uns berufsbedingt ständig Brillen im Kopf herumschwirren, entstand die Idee, selbst eine solche aus PET-Flaschen zu designen.» Damit wurde der Startschuss für ihren Prototypen abgegeben. Für das vollständig handgefertigte Produkt experimentierten die Berufsabsolventinnen mit PET-Flaschen, die sie mit verschiedenen Klebern zu stabilen Platten verleimten. «Anschliessend sägten und feilten wir das Vorderteil aus der Brille und gestalteten die Bügel», so Lisa Brönnimann. Das Vorgehen führte nicht gleich zum gewünschten Ergebnis. Sie erinnert sich: «Die einzelnen PET-Schichten hafteten nicht aneinander, die Brille war wenig stabil und spaltete sich. Zu Beginn resultierte aus dieser Herstellung ein Brillengestell, das mehr aus Leim als aus PET bestand.» Trotz des intensiven Entwicklungsprozesses gefiel den jungen Augenoptikerinnen die handwerkliche Arbeit sehr.
Die beiden Jugendlichen wurden bei der Entwicklung der Prototypen von ihren Lehrbetrieben unterstützt. Diese gaben ihnen die nötigen Ressourcen an die Hand, stellten Werkzeuge und Maschinen zur Verfügung. «Die Unterstützung bedeutete mir sehr viel», sagt Selina Frey, die während ihrer Ausbildung vom ganzen Team gefördert wurde. Von Fielmann erhielten die jungen Talente die Chance, für den zweiten Prototyp die Fassungsindustrie in Rathenow Deutschland zu besuchen und zu testen, ob eine Massenproduktion infrage käme.
Dort fördern, wo sich Begabungen zeigen
«Die Förderung von begabten Lernenden eröffnet einem Unternehmen die Möglichkeit, in die eigene Zukunft zu investieren», sagt David Burki, Leiter der Fielmann-Niederlassung in Bülach und Ausbildner von Lisa Brönnimann. «Talentierte Lernende können oft schneller in schwierige Prozesse eingearbeitet werden und eigenverantwortlich handeln.» Da die jungen Fachkräfte in der betriebseigenen Lehrwerkstatt mit unterschiedlichen Personen zusammenarbeiten, werden Talente schnell sichtbar. Lisa Brönnimann habe sich vom ersten Tag an als motivierte, interessierte und aufmerksame Lernende mit hoher Lernbereitschaft, Neugierde und Durchhaltewillen gezeigt.
Stephanie Schneider, Abteilungsleiterin Ausbildung bei Fielmann, sagt: «Talentförderung besteht bei Fielmann aus einer Kombination von Ausbildungsniederlassung und betriebsinterner Lehrwerkstatt. Wir fördern da, wo sich die Begabung äussert. Unsere gut ausgebildeten Fachkräfte zeigen, welchen Wert eine solide Berufsbildung auf dem augenoptischen Markt hat.»
Ausgezeichnetes Projekt mit Innovationspotenzial
Auch Selina Freys Talent äusserte sich früh. «Selina kann komplizierte Sachverhalte sehr schnell verstehen und Lösungen finden. Sie ist ehrgeizig, motiviert und nimmt für ein super Ergebnis gerne Mehraufwand in Kauf», hält Dominik Müller fest, Ausbildner bei BOA Büchi Optik Affoltern.
Begleitet wurden Lisa Brönnimann und Selina Frey von ihrem Berufsmaturitätsschullehrer Dr. Remo Häuselmann. Als Betreuer und Coach gab er Hinweise, wie das Projekt vertieft werden könnte. «Er öffnete uns immer wieder neue Blickwinkel», so Lisa Brönnimann. «Zusätzlich motivierte uns Herr Häuselmann, das Projekt bei SJf anzumelden», hält Selina Frey fest. Dr. Remo Häuselmann ist einer von drei Ambassadoren für SJf an der Berufsmaturitätsschule Zürich. «Mir war schnell klar, dass es sich bei dieser Arbeit um ein sehr gutes, überdurchschnittliches Projekt handelt, das gefördert werden sollte und zu SJf passt», sagt er. «Ihre Selbstständigkeit, Zuverlässigkeit und ihr Ehrgeiz zeichneten die beiden Lernenden ganz besonders aus; die Projektidee haben sie weitestgehend selbstständig realisiert.» Dass diese Leistung in der Berufsbildung aussergewöhnlich ist, war den beiden jungen Frauen selbst nicht bewusst.
Wettbewerb als Motivation für die Branche
Zunächst trauten sie sich die Einreichung bei SJf gar nicht zu. Kein seltenes Phänomen. Bei SJf überwiegen Teilnehmende aus den Mittelschulen. «Der Nutzen von SJf für die Berufsbildung liegt darin, dass die Grundbildung einen Innovationsschub erhält», so der Ambassador Häuselmann. SJf habe sich in den letzten Jahren stark für Projekte in der Berufsbildung geöffnet und fördere das Potenzial der Jugendlichen. Nach der Vorstellung bei SJf nahmen Lisa Brönnimann und Selina Frey Erweiterungen vor und erstellten eine Ökobilanz, die Lisa Brönnimann zufolge zu den grössten Herausforderungen des Projekts zählte.
Laut Dominik Müller diente der Wettbewerb dem Betrieb als Ansporn. «Wir wurden als Team und als Unternehmen ehrgeiziger und haben Selina immer weiter motiviert.» Die Teilnahme bei SJf und die Auszeichnung ist für die Betriebe selbst von grossem Nutzen. «Es bedeutet Werbung für das Unternehmen, Imagegewinn sowie erhöhte Akzeptanz als Ausbildner», so David Burki. Dominik Müller bestätigt, dass das Unternehmen viele positive Reaktionen von Kundinnen und Kunden für das Engagement in der Berufsbildung erhalten habe. Da er als Ausbildner positiv gefordert sei, lohne sich der Einsatz für ihn zusätzlich.
Zentrale Erfahrungen durch SJf
Das Engagement, die Hartnäckigkeit und die hohen Ansprüche haben sich gelohnt: Entstanden ist ein Produkt, das simpel und gleichzeitig einzigartig ist. Lisa Brönnimann und Selina Frey erhielten für die beiden erfolgreichen Prototypen samt Ökobilanz die Auszeichnung «hervorragend» bei SJf 2019 sowie den Sonderpreis «PSI – Forschung auf dem Jungfraujoch».
Besonders wertvoll bei der Teilnahme seien die Erfahrungen und neuen Kompetenzen gewesen, die die beiden als Jungforscherinnen sammeln konnten: Kontakte knüpfen, Einblick in die Forschung erhalten, vor Publikum sprechen. «Es war toll, als Expertinnen aufzutreten, es lohnt sich auf jeden Fall», sagt Lisa Brönnimann. «Die Reise war extrem spannend. Wir waren Feuer und Flamme, so dass wir trotz Nachtschichten alles unter einen Hut gebracht haben.» Selina Frey bestätigt: «Selbst etwas zu erfinden war grossartig. Es war eine interessante und intensive, aber auch strenge Zeit.» Da half es, dass das eingespielte Duo die Arbeiten aufteilen und soziale Kompetenzen einbringen konnte. Die Auftritte und das Sprechen vor Publikum führten dazu, dass Selina Frey einen Grossteil ihrer Nervosität diesbezüglich ablegen konnte. «Das war eine sehr gute Übung, davon profitierte ich am meisten.» Das neue Selbstbewusstsein und die offenere Kommunikation wirken sich positiv auf Kundengespräche aus, bestätigt Dominik Müller. Lisa Brönnimann sagt, dass sie durch die Arbeit ein Stück erwachsener geworden sei.
Perspektiven durch die PET-Brille
Selina Frey studiert nach ihrem Berufsabschluss Optometrie an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und lässt die gesammelten Erfahrungen dort einfliessen. Lisa Brönnimann arbeitet als Augenoptikerin EFZ im Lehrbetrieb, baut ihr Fachwissen aus und gibt die Erfahrungen von SJf an Lernende weiter.
Wie geht es weiter mit der PET-Brille? In Zusammenarbeit mit einer Fassungsfirma könnte eine erste Kleinserie des Prototyps entstehen. Die Fassungen wären einzigartig, ökologisch und exklusiv. Marktfähig sei ihre Brille aktuell aber noch nicht, sagt Lisa Brönnimann. «Vielleicht kommt das noch.»